* 31. Januar 1937
von Rainer Fanselau
Essay
Als Philip Glass in Paris (1963–65) Kompositionen des indischen Sitarspielers Ravi Shankar transkribierte, fand er erst zu einem befriedigenden Ergebnis, als er die Taktstriche entfernte. Der scheinbar unendliche Fluss dieser Musik, für die eine additive Rhythmik kennzeichnend ist, schien ihm nur in einer metrisch freien Notation angemessen darstellbar. Musik von Ravi Shankar wurde für Glass zum inspirierenden Maßstab durch die Verbindung eigener melodischer Erfindung mit rhythmischen Zyklen der indischen Musik. Bei der Anwendung dieses kompositorischen Prinzips ging Glass jedoch von einer anderen Materialgrundlage aus: Anstelle überlieferter rhythmischer Formeln (Talas) mit ritueller beziehungsweise kultischer Bedeutung verwendete er einfachste Repetitionsmuster, die einen ästhetischen Reiz ausüben, Stimmungen vermitteln und Zustände von Entrücktheit auslösen können.
Seine 1965–66 in Paris und 1967–75 in New York konzipierten Werke dieser Art trafen aufgrund ihres rigorosen Minimalismus, der mit szenischen Aufführungen noch nicht verbunden war, im Publikum zunächst weithin auf Widerstand. Auf frühe minimalistische Stücke wie Music for „Play“ (Samuel Beckett) für zwei Sopransaxophone (1965), das 1. Streichquartett (1966), Strung out für elektrisch verstärkte Solovioline (1967) und Two Pages für Keyboards (1968) folgten 1969 in verfeinerter Ausführung des gleichen konstruktiven Grundgedankens für das Philip Glass Ensemble Music in Contrary Motion, ...